Der Enkel und die Tochter erinnern sich an zwei einprägsame Geschichten, die der Großvater aus der Zeit im Konzentrationslager Sachsenhausen erzählt hat
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Mein Großvater sprach mehrere Sprachen fließend und hatte eine gestochen scharfe Handschrift, weshalb er zeitweise für die Registrierung neu angekommener Häftlinge eingesetzt wurde. Eines Tages, so erzählte er mir, sei eine Handvoll französischer Widerstandskämpfer aus Paris angekommen. Mein Großvater, sicher, dass außer ihm niemand Französisch sprach, unterhielt sich mit ihnen. Dabei musste er feststellen, dass es sich bei den Neuankömmlingen um Juden handelte, eine Tatsache, die bisher niemandem aufgefallen zu sein schien. Politische Häftlinge, das wusste er, hatten wenig Überlebenschance, jüdische Häftlinge hatten gar keine. Es entspann sich folgende Diskussion:
„Hört zu, ich registriere euch als Türken.“
„Wir können aber kein Türkisch.“
„Ihr seid Türken der dritten Generation, ihr sprecht nur Französisch.“
„Wir sind aber beschnitten.“
„Das sind Moslems auch.“
Die Pariser Gruppe wurde als Türken registriert und alle Mitglieder überlebten.
Nach dem Krieg konnte mein Großvater aus politischen Gründen weder in seine Heimat Istrien noch nach Italien zurückkehren. Da holten ihn die nach Paris zurückgekehrten „Türken“ zu sich, halfen ihm, wieder als Journalist zu arbeiten, brachten ihn in Kontakt mit Schriftstellern wie Albert Camus und Jean Cocteau und ermöglichten ihm den Aufbau einer neuen Existenz. Die Geretteten retteten ihren Retter.
Viel später fand ich in einem Buch die erstaunte Erwähnung einer Handvoll Türken in Sachsenhausen. Ich musste lächeln und wusste – es waren die „Türken“ meines Großvaters.
(Viktor Eberl, Enkel)
Wie mein Vater, musste sein Lagerkamerad und Freund Thor Halvorsen am Todesmarsch teilnehmen. Wen dabei die Kräfte verließen, der wurde an Ort und Stelle erschossen. Als Thor nicht mehr weiterkonnte, trug ihn mein Vater, wobei er alle Bitten des Norwegers, ihn doch einfach liegen zu lassen, ignorierte. Thor Halvorsen verbrachte später oft mit seiner Familie den Urlaub bei uns, erzählte stets bewegt, wie mein Vater ihm das Leben gerettet hatte. Mein Vater seinerseits war der festen Überzeugung, Thor hätte an seiner Stelle das Gleiche für ihn getan. Schon als Kind faszinierte mich die besondere Beziehung der beiden Männer zueinander. Es war immer etwas für Außenstehende nicht Fassbares zwischen ihnen zu spüren – wohl diese gemeinsame Erinnerung, die sich jeder Vorstellungskraft entzieht – ganz besonders wenn sie schwiegen und trotzdem ohne Worte kommunizierten. Dann schienen sie mir nicht mehr zwei Freunde zu sein, sondern eine einzige Person.
(Ines Eberl-Calic, Tochter)
My grandfather spoke several languages fluently and had very good handwriting, which is why he was employed at times to register newly arrived prisoners. One day, he told me, a handful of French resistance fighters arrived from Paris. My grandfather, sure that no one spoke French except him, conversed with them. In doing so, he had to note that the new arrivals were Jews, a fact that no one seemed to have noticed before. Political prisoners, he knew, had a poor chance of survival; Jewish prisoners had none at all. The following discussion ensued:
„Listen, I’m registering you as Turks.“
„But we don’t know Turkish.“
„You are third generation Turks, you speak only French.“
„But we are circumcised.“
„So are Muslims.“
The Paris group was registered as Turks and all members survived.
After the war, my grandfather could not return to his native Istria or to Italy for political reasons. That’s when the „Turks“ who had returned to Paris took him in, helped him work as a journalist again, put him in contact with writers like Albert Camus and Jean Cocteau, and enabled him to build a new existence. The rescued saved their rescuer.
Much later, I found in a book the astonished mention of a handful of Turks in Sachsenhausen. I had to smile and knew – they were my grandfather’s „Turks“.
(Viktor Eberl, grandson)
Like my father, his campmate and friend Thor Halvorsen had to participate in the death march. Those who lost their strength were shot on the spot. When Thor could go no further, my father carried him, ignoring all the Norwegian’s pleas to just leave him there. Later, Thor Halvorsen often spent his vacations with us with his family, always movingly telling how my father had saved his life. My father, for his part, was firmly convinced that Thor would have done the same for him in his place. Even as a child, I was fascinated by the special relationship between the two men. There was always something between them that was incomprehensible to outsiders – probably this shared memory that defies imagination – especially when they were silent and yet communicated without words. Then they no longer seemed to me to be two friends, but a single person.
(Ines Eberl-Calic, daughter)
Authors
Viktor Eberl
Ines Eberl-Calic